Offener Brief für Klimaschutz und Beschäftigung durch den Ausbau der Windenergie auf See

Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Habeck,

die Energiewende bietet riesige Chancen für den dringend benötigten Klimaschutz und die Transformation der Industrie, ihrer Wertschöpfung sowie für die Beschäftigungsentwicklung insbesondere für die Offshore Wind Industrie, die Seeschifffahrt, Meerestechnik und Häfen, Schiffbau und Werften, Wasserstoff- und Stromerzeugung. Im Zentrum steht dabei der langfristige und nachhaltige Ausbau der Offshore Windenergie und der Ausbau der maritimen Wirtschaft in Deutschland.

Wir begrüßen es sehr, dass Sie als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz mit ihren Ausbauplänen von mindestens 30 Gigawatt Offshore Wind bis 2030 und mindestens 70 Gigawatt bis 2045 die Energiewende auf See deutlich beschleunigen wollen. Wir, die Offshore Windindustrie und ihre Beschäftigten, wollen die von Ihnen anvisierten Ziele gemeinsam mit Ihnen erreichen.

Wir setzen uns mit diesem Brief gemeinsam für die entscheidenden industriepolitischen Weichenstellungen im laufenden Gesetzgebungsverfahren für die Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes als Grundlage für die Zielerreichung 2030 und darüber hinaus ein. Für den kostensenkenden Wiederaufbau der heimischen Wertschöpfungsketten haben wir diesbezüglich vier prioritäre Anliegen. Hierzu zählen - neben einer engen Abstimmung zwischen Politik und Wertschöpfungsvertreter:innen - eine Qualifizierungsoffensive, ein nachhaltiges Ausschreibungsdesign mit zielführenden Qualitäts­kriterien, geeignete Finanzierungsmodelle und Rahmenbedingungen zur Sicherung systemrelevanter Infrastruktur sowie ein Fokus auf den Energieertrag. So können die Energiewende auf See im Hinblick auf Klimaschutz-Erwartungen optimiert und internationale Abhängigkeiten stetig reduziert werden und gleichzeitig zehntausende qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine vollständige, heimische Wertschöpfungskette, die Windenergieanlagen auf See und sonstige Energiegewinnung, sowie Offshore-Anbindungsleitungen inklusive dazu notwendiger maritimer Anlagen wie Konverterplattformen, Meerestechnik und Spezialschiffe nachhaltig und kosteneffizient ausbaut, liegt daher im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit.

Windenergieanlagen auf See sind systemrelevant. Neben einem starken Klima- und Umweltschutz ist aus unserer Sicht die Sicherstellung sauberer Energiegewinnung und -versorgung für das Überleben der deutschen Industrie von elementarer Bedeutung, insbesondere hängt die Zukunft unserer energieintensiven Grundstoffindustrie (wie Stahl, Chemie und Zement) aber auch die des gesamten Wirtschaftsstandorts Deutschland davon ab.

1.
Eine Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive

Der beschleunigte Ausbau der Offshore Windenergie und der Aufbau einer "grünen" Wasserstoff­wirtschaft benötigen qualifizierte Fachkräfte. Durch den Stillstand beim Ausbau der letzten Jahre sind in Deutschland Arbeitsplätze weggefallen, tausende Fachkräfte in andere Branchen gewechselt oder in prosperierende internationale Märkte abgewandert. Es bedarf daher umgehend einer gemeinsamen Anstrengung in Form einer Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive, um die notwendigen Fachkräfte in der Maritimen- und Offshore Windindustrie für die Energiewende auf See zu sichern. 20 Prozent der Einnahmen aus den PPA-Ausschreibungserlösen für Offshore Windprojekte - falls dieses Ausschreibungs­modell neben den Differenzverträgen in der Gesetzesnovelle bestätigt wird - sollten in Programme und Initiativen investiert werden, die Ausbildungsprogramme für Arbeitskräfte entlang der Wertschöpfungskette in Deutschland und die Entwicklung der inländischen Wirtschaft unterstützen.

2. Qualitative Ausschreibungskriterien

Wir setzen uns für qualitative Kriterien in Ausschreibungen ein, die dazu beitragen, den CO2-Fußabdruck von Offshore Windparks zu senken und qualifizierte Beschäftigung fördern. Ausschreibungskriterien sollten in beiden Auktionsmodellen einen Anreiz bieten, Transportwege für Komponenten kurz und damit klimafreundlich zu halten. Es ist auch für die weitere Akzeptanz der Energiewende auf See nicht mehr vermittelbar, wenn riesige Komponenten für Windpark-Projekte überwiegend im Ausland gebaut werden und weite Transportwege hinter sich bringen, bevor sie in Nord- oder Ostsee installiert werden. Auch ist der Anteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in der - an die Ausschreibung ge­knüpften - Projektbeschreibung ein sinnvolles Kriterium, um die maritime Wirtschaft in Deutschland zu fördern. Während der Errichtung, dem Betrieb, Service, Repowering und Rückbau sollten nur qualifizierte und eingewiesene Beschäftigte eingesetzt werden. Hier sind die Arbeitnehmer:innenrechte und der Arbeitsschutz prioritär. Auch dies stärkt die gesellschaftliche Akzeptanz. Mit entsprechenden qualitativen Ausschreibungskomponenten ließe sich bei stetig steigendem Preisdruck eine nachhaltige Entwicklung der Zulieferindustrie ermöglichen. Im Sinne von Klimaschutz und Beschäftigung.

3. Strategische Sicherung systemrelevanter Infrastruktur

Die Werften, insbesondere für die Fertigung der Offshore-Konverterplattformen und für Spezialschiffe halten wir für einen unverzichtbaren Teil der Wertschöpfungskette. Daher benötigen wir Ihre Unterstützung für einen schnellen Ausbau der für die Energiewende dringend benötigten Werften- und Hafeninfrastruktur, für den Aus- und Rückbau der Windenergie auf See sowie für den Spezialschiff- und Plattformbau, aber auch für die Fertigung von schwimmenden Fundamenten, Jacketstrukturen, Spezialausrüstung sowie für grünen Wasserstoff. Schwerlastfähige Werft- und Hafenstandorte bilden die entscheidende Drehscheibe für Nachhaltigkeit im Offshore Wind-Ausbau und sind die Grundlage für die Beschäftigung im Binnenland. Sie müssen hierfür ertüchtigt sein und auf die erforderlichen Finanzierungsoptionen zurückgreifen können. Beispielsweise sind die Werftenstandorte in Mecklenburg-Vorpommern für die Erreichung der Ausbauziele, verbunden mit einem vorgezogenen Kohleausstieg, systemrelevant. Sie dürfen nicht zerschlagen werden und müssen als Systemwerft erhalten werden. Wir sehen den Bund hierfür besonderer Verantwortung, um die erforderliche etwa zweijährige Vorlaufzeit bis Fertigungsbeginn für Investoren auskömmlich zu gestalten. Dies betrifft auch notwendige Fertig­stellungsbürgschaften des Bundes in der Art, wie sie auch in anderen EU-Ländern und international gehandhabt werden.

4. Fokus auf Megawattstunden statt Megawatt

Bei der Planung des für die Klimaneutralität notwendigen Beitrags der Offshore Windenergie muss es um den optimalen Energieertrag gehen, gemessen in Megawattstunden, und nicht in erster Linie um die installierte Leistung in Megawatt. Daher sind erforderliche Abstände zwischen einzelnen Windenergie­anlagen und gesamten Offshore Windkraftwerken und Repowering wesentliche Themen, um schneller mehr Energie für Strom und Gas zur Verfügung stellen zu können. Grüner Wasserstoff beispielsweise profitiert entscheidend von einer hohen Anzahl an Volllaststunden. Die weitere Kostensenkung der Industrie ist maßgeblich an die Zahl der Megawattstunden geknüpft. Lassen Sie uns mit einer offenen Debatte - unter Einbeziehung aller relevanten Akteure - über die Beschäftigungs­perspektiven für Offshore Wind und "grünen" Wasserstoff beginnen.

Eine Industrievereinbarung kann neben dem Windenergie-auf-See-Gesetz helfen, besonders die kurzfristigen Ausbauziele zu erreichen. Gerne stehen wir jederzeit über die angegebenen Ansprech­partner:innen für einen Austausch zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

  • Heike Winkler, Geschäftsführerin, WAB e.V.

Mitunterzeichnende:

17. Mai 2021

 

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Sieben europäische Clusterorganisationen haben am 5. Oktober 2022 in Esbjerg, Dänemark, ein gemeinsames Manifest unterzeichnet. Die Kooperationsvereinbarung soll mehr EU-Mittel für energiebezogene Innovationsprojekte in der Nordseeregion sichern.

 

Hier ist der Link zum weiterlesen : https://www.energycluster.dk/cluster-collaboration-based-on-the-esbjerg-declaration/