Seite an Seite den Wandel gestalten

Interview mit Irina Lucke, Vorstandsvorsitzende des WAB e.V., und WAB-Geschäftsführer Andreas Wellbrock über die aktuelle Konsolidierungsphase der Windindustrie, Zukunftsmodelle und die Neuaufstellung der WAB im Jahr 2018

Frau Lucke, Herr Wellbrock, wie geht es der Windindustrie derzeit?
IL: Die Windindustrie erfährt durch ungünstige politische Rahmenbedingungen starken Gegenwind. Wir befinden uns in einer massiven Konsolidierungsphase, in der insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen der Branche den Rücken kehren. Es besteht die Gefahr, dass wir in Deutschland wichtiges Know-how verlieren.
AW: Der Fadenriss, den wir in der Offshore-Industrie bereits beobachten, hat sich auf die Onshore-Branche übertragen. Derzeit kommt es zu einer massiven Fehlentwicklung, die zulasten von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben geht und damit den Industriestandort Deutschland belastet.

In der Windbranche sind 143.000 Arbeitskräfte beschäftigt. Wie geht es weiter?
IL: Die deutsche Technologieführerschaft steht auf dem Spiel, wenn der Ausbaupfad für die Offshore-Windindustrie nicht erweitert wird. Ein Negativkreislauf beginnt, an dessen Ende viele Menschen ihren Job verlieren könnten. Ein Szenario, das von der Politik so nicht gewollt sein kann.
AW: Mit Blick auf andere Industriezweige gibt es eine deutliche Schieflage: Die Automobilindustrie hat dank der Politik markante Aushängeschilder wie das fehlende Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Das Schaufenster der Windindustrie ist dagegen recht bescheiden.

Auf dem internationalen Markt steigt die Nachfrage nach Offshore-Projekten und Windkraftanlagen. Wie kann Deutschland stärker profitieren?
IL: Wir haben in Deutschland die skurrile Situation, dass der Ausbau der Offshore-Windbranche trotz demonstrierter Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit gedeckelt wird. Dieser Entwicklung muss mit einer Ausweitung der Ausbauvolumina auf mindestens 20 Gigawatt bis 2030 und 30 Gigawatt bis 2035 begegnet werden. Ein Drittel der in Deutschland produzierten Offshore-Anlagen werden ins Ausland exportiert. Das Potenzial ist aber viel größer, wenn wir unser Schaufenster attraktiv gestalten.

Der Höchstwert für die Ausschreibung Wind an Land ist auf 6,30 Cent ct/kWh festgesetzt. Welche weiteren Korrekturen müssen vom Gesetzgeber vorgenommen werden?
AW: Projekte, die sich an Ausschreibungen beteiligen, müssen über eine BImSchG-Genehmigung verfügen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass bereits bezuschlagte Projekte nicht realisiert werden können. In der Folge entsteht Planungsunsicherheit. Aus unserer Sicht wäre es zudem dringend erforderlich, dass Kapazitäten von nicht realisierten Projekten erneut ausgeschrieben werden.

Warum ist es wichtig, dass die neue Bundesregierung die Ausbauziele für die Offshore-Windenergie anhebt? Besteht die Gefahr, dass die Offshore-Industrie ohne eine Anpassung ähnlich negative Erfahrungen macht wie bereits die Solarenergie?
IL: Die Offshore-Windenergie ist dank ihrer Grundlastfähigkeit die tragende Säule der Energiewende und daher unverzichtbar für das Erreichen der deutschen Klimaschutzziele. Deutschland verfügt über einmaliges Expertenwissen, das in dieser Form nicht ersetzbar ist.
AW: Wir benötigen in Deutschland einen Masterplan Energiewende, der alle Systemkomponenten mitdenkt. Die Frage, die mich – auch in Hinblick auf kommende Generationen – umtreibt: Wie schaffen wir es, dass Deutschland bis 2050 eine kohlestofffreie Gesellschaft wird? Die Offshore-Windenergie nimmt bei der Beantwortung dieser Frage eine Schlüsselrolle ein, da sie zuverlässig Strom liefert.

Gegner der Windenergie führen häufig aus, überschüssiger Strom werde zulasten überhöhter Verbraucherpreise ins Ausland verkauft. Wie weit ist die Entwicklung von Speichertechnologien?
AW: Die Marktsystematik der Strombörse ist ein fehlerhaftes Konstrukt, das zulasten der Verbraucher ausgelegt wird. Durch Wind erzeugter Strom ist hier Sündenbock für handwerkliche Fehler im Stromdesign. Nichtsdestotrotz ist der Ausbau von Speichertechnologien wichtiger denn je. Derzeit verfallen bestehende Wasserpumpspeicherwerke, obwohl diese dringend benötigt werden. Auch hier ist die Politik gefragt, den notwendigen Rahmen zu setzen.

Welche Einsatzmöglichkeiten gibt es für grünen Wasserstoff? Wie treibt die WAB die Entwicklung voran?
IL: Die WAB hat in 2016 eine umfangreiche Studie zum Thema Wind-to-Gas vorgelegt und plant auf Anregung ihrer Mitglieder im Jahr 2018 eine Veranstaltungsreihe zum Einsatz von grünem Wasserstoff – nach unserer Einschätzung ein neuer Absatzmarkt für Windstrom.
AW: Denkt man an den Bereich Mobilität, ergibt sich in Deutschland ein enormes Potenzial. Wichtig ist dabei, dass systemisch gedacht wird und die gesamte Kette der Winderzeugung bis hin zur Verteilung und Nutzung berücksichtigt wird. Jeder Akteur muss in dieser Kette ein funktionierendes Geschäftsmodell entfalten können, um die Dynamik voranzutreiben.

Warum ist die Energiewende eine Frage der Generationengerechtigkeit?
AW: Die alteingebrachten Formen der Energieerzeugung wie Atom, Kohle, Erdöl und Erdgas liefern unterschiedlichste Abfallprodukte, für deren Entsorgung die Folgegenerationen einstehen. Und auch klimawandelinduzierte Flüchtlingsströme werden nachfolgende Generationen vor große Herausforderungen stellen. In der politischen Debatte wird zumeist ein gerechtes Rentenmodell thematisiert. Generationengerechtigkeit beim Klima spielt in der gesellschaftlichen Diskussion leider bisher kaum eine Rolle. Diese Diskussion muss viel stärker in den Mittelpunkt der Energiewende rücken.

Warum ist es gerade in turbulenten Zeiten wichtig, dass die WAB der Branche eine gewichtige Stimme verleiht?
IL: Angesichts derzeitiger Konsolidierungsprozesse ist es umso wichtiger, dass die WAB als Sprachrohr lautstark und fundiert für die Interessen der Branche kämpft und für bessere Rahmenbedingungen eintritt. Insbesondere kleineren und mittleren Unternehmen bietet die WAB, beispielsweise durch das EU-Projekt Inn2POWER, eine Plattform, um sich im europäischen Raum zu vernetzen.
AW: Die WAB ist kein Selbstzweck. Auch wir in der Geschäftsstelle sind von den Veränderungsprozessen der Branche betroffen. Wir stehen Seite an Seite mit unseren Mitgliedern und wollen den Wandel gemeinsam mit ihnen gestalten. Deswegen sind für uns folgende Fragen zentral: Welche Leistungen sind für unsere Mitglieder wichtig? Wo können wir besser werden? Worauf müssen wir uns fokussieren?

Die WAB wird sich neu aufstellen. Welche Veränderungen wird es geben?
IL: Die sich verändernde Branche hat einen Veränderungsprozess in der WAB angestoßen. Wir befinden uns in einer tiefgreifenden Modernisierungsphase, in der das Angebot der WAB umfassend optimiert und Strukturen verfeinert werden sowie eine Fokussierung auf Kernkompetenzen stattfindet.
AW: Wir als Verband müssen und wollen uns anpassen. Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitsabläufe, neue Wege der Kommunikation entstehen. Wir werden die Geschäftsstelle in ihren Arbeitsabläufen modernisieren, indem wir eine neue Verwaltungssoftware einführen, die den Kontakt mit unseren Mitgliedern erleichtert. Unsere neue Homepage bietet ab 2018 vielfältige Servicedienste inklusive eines Community-Bereichs für unsere Mitglieder. Über die Sozialen Medien werden wir unsere Mitglieder hochaktuell über unsere Arbeit und Neuigkeiten aus der Branche informieren.

Was sind die wichtigsten Ziele der WAB für 2018?
AW: Wir werden unsere Mitglieder-Services verbessern, bestehende Veranstaltungsangebote weiterentwickeln und etablierte Veranstaltungsformate wie die WINDFORCE Conference attraktiver machen. Die WAB wird noch enger als bisher mit ihren Mitgliedern kooperieren, den Austausch suchen und Perspektiven öffnen, die über den deutschen Markt hinausgehen.
IL: Es ist und bleibt unser wichtigstes Ziel, die Energiewende in Deutschland voranzutreiben und den Anteil der Erneuerbaren Energien in allen Sektoren gekoppelt zu erhöhen. Wir kämpfen dafür, dass die Windenergie die tragende Säule der Energiewende bleibt.