Nordenhamer Erklärung

Die Offshore-Windenergie leistet einen erheblichen Beitrag zur Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien und ist ein entscheidender Faktor für das Gelingen der Energiewende sowie das Erreichen der Klimaschutzziele. Sie trägt mittelfristig zur Resilienz und Versorgungssicherheit Deutschlands sowie zu sinkenden Energiepreisen bei. Die deutschen Meeresgebiete bieten mit dem stark und stetig vorhanden Rohstoff Wind günstige Standortbedingungen. Zudem trifft die Offshore-Windenergie auf eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Es liegt im überragenden öffentlichen Interesse, dass die aktuellen Ausbauziele Deutschlands für Windenergie auf See – 30 Gigawatt bis 2030, zwischen 40 und 50 Gigawatt bis 2035 und mindestens 70 Gigawatt bis 2045 – realisiert werden. Nachdem die entsprechende massive Anhebung der Ausbaupfade und Ausschreibungsmengen im Windenergie-auf-See-Gesetz erfolgt ist, gilt es nun dringend, die notwendigen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Ziele auch umgesetzt werden können. Denn der Offshore-Windenergie gehört die Zukunft – sie bietet zahlreiche Chancen, die es zu nutzen gilt.

Hierfür ist notwendig, dass alle beteiligten Akteure aus sämtlichen Bereichen konstruktiv und effizient zusammenarbeiten. Erforderlich ist eine funktionierende Wertschöpfungskette, beginnend beim Stahlwerk, über Fundamente- sowie Kabelhersteller, der Zulieferung von Anlagen und Systemen, der Systemintegration auf den Werften beispielsweise bei Schiffen und Umspannplattformen bis hin zu den Errichtern, Betreibern und Servicedienstleistern für Offshore-Windparks. Auch den Seehäfen kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie dienen als Basis für den Bau sowie zukünftigen Rückbau von Offshore-Windparks, als Servicestützpunkt für den Betrieb und die Wartung sowie als Lagerplatz, Produktionsstandort und Umschlagplatz für Komponenten. Das vorhandene Potenzial der inländischen Häfen muss genutzt werden, um benötigte Umschlags-, Rangier- und Vormontageflächen sowie die notwendige Hafeninfra- und Hafensuprastrukturen in ausreichendem Umfang zeitgerecht zur Verfügung stellen zu können.

Letztendlich muss es gelingen, dass sich der gesamte Lebenszyklus einer Windenergieanlage – von der Planung bis zum Rückbau – idealerweise im Inland abbilden lässt. Die gewaltigen Ausbauziele allein für den gesamten Nordseeraum, wie jüngst durch die Regierungschefs von neun Anrainerstaaten unterstrichen, erfordern erhebliche Investitionen in zusätzliche Produktionskapazitäten in allen Teilen dieser Wertschöpfungskette. Auf jeder Ebene bedarf es dabei insbesondere einer ausreichenden Zahl an qualifizierten Fachkräften. Diese wird man nur gewinnen und halten können, wenn die gebotenen Arbeitsplätze attraktive, möglichst tarifgebundene, auch international und gegenüber anderen Branchen konkurrenzfähige Bedingungen bieten.

Eine prosperierende Offshore-Windenergieindustrie in Deutschland ist nicht nur zwingend erforderlich, um eine unabhängige, regenerative Energieversorgung für private sowie gewerbliche und industrielle Verbraucher zu gewährleisten, sondern bietet auch ein erhebliches Wertschöpfungs- sowie Beschäftigungspotenzial. Ein Ausbau der Infrastruktur und Kapazitäten zur Herstellung grünen Wasserstoffs kann nur gelingen, wenn aus erneuerbaren Energien gewonnener Strom in ausreichenden Mengen vorhanden ist. Die Bedeutung des Aufbaus einer Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab ist im Rahmen der Offshore-Konferenz in Ostende Ende April 2023 hervorgehoben worden. Zukunftsfelder wie schwimmende Windenergieanlagen, die Offshore-Elektrolyse oder der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft in diesem Wirtschaftszweig werden an Bedeutung gewinnen.

Zur Stärkung der gesamten Branche und dem Erreichen der Ausbauziele von Offshore-Windenergie sind nach Ansicht der Unterzeichner dieser Erklärung die nachfolgenden Aspekte aus den Bereichen Arbeit, Wertschöpfung und Finanzierung essentiell:

·        Arbeitsbedingungen und Fachkräftesicherung

o   Qualifizierungsoffensive starten

Eine umfassende Qualifizierungsoffensive mit Fokus auf die Energiewende muss gestartet werden. Die Qualifizierung und Weiterbildung von Beschäftigten der Windindustrie ist die Grundvoraussetzung, um die Technologieführerschaft erhalten sowie neue Technologiefelder erschließen zu können

o   Ausbildungsaktivitäten erhöhen

Die Betriebe der Branche müssen ihre Ausbildungsaktivitäten deutlich ausbauen. Mit Blick auf die Klimaschutzziele ist die betriebliche Ausbildung ein zentraler Baustein zur Sicherung der erwarteten höheren Fachkräftebedarfe von morgen. In dem Zusammenhang muss ggf. auch überprüft werden, inwiefern das Spektrum der Ausbildungsberufe erweitert bzw. ergänzt werden kann, um speziell auf die Windindustrie ausgerichtete Ausbildungsberufe, z.B. für den Servicebereich. Gleichzeitig ist zu überlegen, ob Verbundausbildungen im Servicebereich möglich sind.

o   Attraktivität der Windindustrie als Arbeitgeber steigern

Die Umsetzung des Ausbaus der Offshore-Windenergie setzt den engagierten Einsatz von genauso zahlreichen wie hochqualifizierten Fachkräften voraus. Es gilt, diese für alle notwendigen Tätigkeiten in sämtlichen Bereichen zu gewinnen und den Unternehmen möglichst langfristig zu erhalten. Gute Arbeitsbedingungen, Tariflöhne und Mitbestimmung können die Attraktivität sowie Konkurrenzfähigkeit der Arbeit in der Branche steigern und dafür sorgen, dass die Betriebe bei der Suche nach Fachkräften erfolgreich sind. Der Ausbau der Tarifbindung kann hier einen Beitrag leisten.

o   Sicherung der Arbeitsbedingungen von Offshore-Servicetechnikern

Die Arbeitsbedingungen für Offshore-Servicetechniker sollten ein fortlaufendes gemeinsames Anliegen aller staatlichen und privaten Akteure sein. Dazu gehören eine stetige Weiterentwicklung der Schutz- und Sicherheitskonzepte von Offshore-Windparks auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie technologischer Entwicklungen und eine fortlaufende Evaluation regulatorischer Instrumente wie der Offshore-Arbeitszeitverordnung. Mit Blick auf die Verantwortlichkeiten bei der Offshore-Rettungskette in der Ausschließlichen Wirtschaftszone sollte dringend eine Neu-Ordnung angestrebt werden mit einer stärkeren Rolle des Bundes.

·        Stärkung der Wertschöpfungskette und der technologischen Leistungsfähigkeit

o   Ideale Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen

In allen Stufen der Wertschöpfungskette untermauern deutsche Unternehmen ihre technologische Leistungsfähigkeit durch entsprechende Referenzprojekte. Die oftmals mittelständisch geprägte Industrie muss in die Lage versetzt werden, eigene Investitionen in Entwicklung und Produktionskapazitäten auf den Weg zu bringen. Dies kann jedoch nur bei entsprechender Auftragslage erfolgen. Die fehlende Beteiligung der deutschen maritimen Industrie bei bisherigen Auftragsvergaben des Jahres 2023 ist alarmierend und steht einer Zielerreichung entgegen. Hier muss dringend gegengesteuert werden.

Um die angestrebten Ausbauziele durch eigene Anlageinvestitionen zu unterstützen, müssen die wesentlichen Stellschrauben endlich entschlossen gelöst werden. Notwendig ist, dass

§  Genehmigungsverfahren beschleunigt werden,

§  qualitative Ausschreibungsbedingungen vorgegeben werden, die u.a. den Anteil an regionaler Wertschöpfung, aber auch die Einhaltung ökologischer und sozialer Standards festlegen

und

§  Anreize für langfristige Partnerschaften geschaffen werden.

o   Förderung eines starken Heimatmarkts zur Erzeugung von grünem Wasserstoff Die Offshore-Windindustrie kann wesentlich von dem Ausbau der Erzeugungskapazitäten von grünem Wasserstoff profitieren. Voraussetzung hierfür ist die Schaffung eines starken Heimatmarkts für die Produktion von grünem Wasserstoff.

o   Gemeinsame Potenziale der Windindustrie und des Schiffbaus erschließen

Der perspektivisch erwartete starke Ausbau der Offshore-Windenergie bietet auch der Schiffbauindustrie an den Küsten im Norden Deutschlands ein Aufschwung-Potenzial. Für den Bau, die Wartung und den anschließenden Rückbau von Offshore-Windenergieanlagen werden unterschiedlichste Schiffstypen benötigt, die heute nicht am Markt verfügbar sind. Der Bedarf an Konverterplattformen wird in den kommenden Jahren ebenfalls enorm ansteigen. Als Fertigungsstandorte in Deutschland kommen ausschließlich Werften infrage, da nur diese über alle notwendigen Voraussetzungen verfügen. Die genannten Marktsegmente eröffnen die Chance, die Wertschöpfungskette der Windindustrie zu erweitern und mit derjenigen der Schiffbauindustrie zu verknüpfen, um gemeinsam eine starke maritime Industrie zu bilden.

·        Finanzierung

o   Zielgerichtete Anpassung und Nutzung des vorhandenen staatlichen Finanzierungs- und Bürgschaftsinstrumentariums

In großen Teilen der Wertschöpfungskette, die Komponenten für den Offshore-Ausbau liefern sollen, sind – insbesondere in den mittelständisch geprägten Branchenbereichen–Eigenkapitalreserven durch die letzten Krisenjahre verloren gegangen. So fehlt es an Reserven für dringend benötigte Investitionen in die Ausweitung von Produktionskapazitäten oder die Umstellung der Produktion. Hinzu kommen spezifische Herausforderungen, zum Beispiel in der Bauzeitfensterfinanzierung oder auch der wachsende Umfang von Vertragserfüllungsbürgschaften durch die immer größer werdenden Projekte.

Durch eine zügige und zielgerichtete Anpassung bereits bestehender staatlicher Finanzierungsinstrumente könnte die dringend benötigte Liquidität hergestellt werden:

Weiterentwicklung und deutliche Erhöhung Volumen-Erhöhung des bestehenden KfW-Finanzierungsprogramms „Offshore-Windenergie“ mit der

§  Öffnung für herstellerseitige Anlageninvestitionen und Zuliefererbelange sowie einer Erhöhung der Fremdfinanzierungsquote bei besonders kapitalintensiven Investitionen.

§  Entwicklung eines Finanzierungsinstrumentariums bei großvolumigen Investitionen, welche sich durch im Verhältnis zur Eigenkapitalquote des investierenden Unternehmens nicht darstellbare Eigenkapitalanteile auszeichnen; hier könnte (analog zu Entwicklungen am Immobilienmarkt) ein „Mietkauf-Fonds“ durch den Bund aufgelegt werden, welcher den investierenden Unternehmen das fehlende Eigenkapital gegen spätere Rückzahlung zur Verfügung stellt.

§  Öffnung/Anpassung des (Groß-)Bürgschaftsprogramms des Bundesund ggf. des KfW-Instrumentariums um die Stellung notwendiger vertraglicher Sicherheiten

§  Bereitstellung eines Instrumentariums zur Finanzierung von Betriebsmitteln (Working Capital) bei Großlieferverträgen

o   Bundespolitische Finanzierungsgrundlage für den Ausbau der Hafenkapazitäten schaffen

Zur Erreichung der Ausbauziele müssen die Investitionen in den Ausbau der Hafeninfrastruktur weiter gesteigert werden. Bund und Länder müssen beim Bau zusätzlicher Liegeplätze sowie der Zurverfügungstellung benötigter Flächen eng zusammenarbeiten. Die bislang ausschließlich für die Finanzierung von Investitionen in Hafeninfrastruktur zuständigen Länder können benötigte Mittel in der notwendigen Höhe häufig nicht alleine zur Verfügung stellen. Angesichts der bundespolitischen Bedeutung der Häfen für das Gelingen der Energiewende sollten dringend pragmatische Lösungen gefunden werden, wie eine Kostenteilung zwischen Bund und Ländern erfolgen kann. Zudem sollte nach dem Vorbild anderer Mitgliedsstaaten stärker als bisher auf europäische Mittel zugegriffen werden, um derartige Strukturförderinvestitionen zu tätigen. Die zuletzt auf EU-Ebene entwickelte, deutliche Aufweichung der Subventionskriterien für der Energiewende dienender Projekte sollte hier dringend in Anspruch genommen werden.

o   Bundespolitisches Förderprogramm „innovativer Schiffbau für die Energiewende“ einführen

Bereits heute steht fest, dass sich sämtliche Nationalstaaten mit Offshore-Wind-Ausbauzielen ab Mitte der 2020er Jahre erhebliche gegenseitige Konkurrenz um viel zu geringe Installations- und Serviceschiffskapazitäten machen werden. Damit droht eine gegenseitige Kannibalisierung der Staaten in ihren Energiewendeplänen. Angesichts der mehrjährigen Vorlaufzeiten bei der Beauftragung von Schiffen muss jetzt gegengesteuert werden. Ein Schiffbauprogramm mit dem Förderfokus auf innovative Antriebe würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und wäre EU-rechtskonform.